YOGA
„YOGA“ ist ein Freiwilligendienstprojekt bei unserer „Mutter“-Organisation in Marseille/Frankreich. Unser Freiwilliger Benedict leistet seinen Dienst in der Abteilung“Pôle Stage“. Er kümmert sich u.a. um Praktika von Franzosen/innen in Deutschland. Auch sein Projekt wurde von der Pandemie überrascht. Und die Ausgangssperre in Frankreich dann auch noch als er grad im Urlaub im Norden Frankreichs war. Eine mehr als vertrackte Situation, aber lest selbst!
Kein Titel
Wenn ich mein Auslandsjahr (Auslandshalbjahr) betiteln sollte, dann würde ich es folgendermaßen beschreiben: „Es kommt halt darauf an, was du daraus machst“.
Dieser Titel trifft insofern zu, als Marseille sehr viel zu bieten hat und man mit dem Programm, das ich durchlaufen habe, genügend Zeit bekommt, sich mit der Stadt und den Menschen vertraut zu machen.
Marseille ist eine wilde Stadt, sie ist eine Stadt der Gegensätze. Auf der einen Seite die schönen Kirchen und die malerische Hafenanlage mit atemberaubenden Panoramen von Häusern und Klippen, dazu die Calanques und natürlich das Mittelmeer.
Auf der anderen Seite die Industrieviertel und vergitterten Schulen, die Baustellen, ausgerissenen Ampeln und verrosteten Fahrradgerippe ohne Räder und Sättel. Überall zerfledderte Reklameschilder, der ewige Geruch von Pisse und Hundehaufen an jeder Hausecke. Marseille ist dreckig. Vor zwei Monaten hat die Müllabfuhr gestreikt. Müllberge haben sich auf den Straßen gesammelt. Gefreut haben sich nur die Ratten, an sie sollte man sich auch schnell gewöhnen. Und an die Penner, die nachts alle 100 Meter in Hauseingängen ihre Nachtlager aufschlagen oder an Metroeingängen, am Bahnhof und auf Hauptstraßen um Geld betteln. Oft sprechen dich sogar Mütter mit kleinen Kindern oder ältere Männer mit verkrüppelten Füßen auf Geld an.
Meine Organisation hat mich im Stadtzentrum untergebracht. Ich wohne direkt neben dem Hauptbahnhof und benötige 10 Minuten zu Fuß, um zum alten Hafen von Marseille zu kommen. Meine Arbeitsstelle und meine Unterbringung befinden sich im selben Haus, ich wohne buchstäblich in dem Appartement direkt über unserem Büro. Die Arbeitszeit beträgt 26 Wochenstunden, entsprechend 6 Stunden pro Tag, 4 Tage pro Woche. Ich beginne 9:30 Uhr und arbeite bis 17:30 mit einer traditionell französischen Mittagspause von 1 1/2 Stunden. Andere mögen es anders handhaben, ich jedenfalls verzichte täglich auf mein Frühstück, lasse mich 9:20 Uhr wecken, ziehe mich noch im Halbschlaf an, torkele aus meiner Zimmertür zwei Treppen runter und, unten angekommen, koche mir einen Kaffee, um langsam von einem schlaftrunkenem in einen mehr arbeitsfähigen Zustand überzugehen. So viel zu meiner Morgenroutine.
Was meinen Aufgabenbereich anbetrifft: Ich arbeite im Pôle Stage, also im Tätigkeitsbereich Praktikum.
Grob umschrieben wird meine Organisation von der Europäischen Union gefördert, um Mobilitätsprojekte junger Menschen umzusetzen. Mein Büro ist für verschiedene Praktikumsprojekte von Schülern und Studenten verantwortlich. Eines dieser Projekte sieht vor, dass französische Schüler aus ca. 40 Berufsschulen aus Marseille und Umgebung als Klasse ein Praktikum von 4 Wochen in nichtfranzösischen Städten absolvieren.
In der Eigenschaft als internationale Organisation seit über 20 Jahren bestand unsere Aufgabe im Zusammenhang mit diesem Projekt darin, dass Eurocircle an die verschiedenen Schulen in den Wochen vor dem Praktikum einen Vertreter an die jeweilige Klasse schickt. Diese Vertreter waren meist mein Chef und ich.
Unsere Aufgabe ist es, die Schüler auf ihr Praktikum vorzubereiten und mit ihnen über ihre Erwartungen und Befürchtungen zu sprechen. Ich stelle oft meinen Freiwilligendienst in Marseille ein wenig vor. So konnte ich ein paar Städtchen der Umgebung kennen lernen.
Ein weiteres Projekt, das Projekt ITII betrifft Studenten technischer Fachrichtungen. An diesem Projekt arbeite ich vermutlich am meisten. Es geht darum, mit Unternehmen aus ganz Europa Kontakt aufzunehmen und diesen einen am Projekt ITII teilnehmenden Praktikanten zu vermitteln.
Ich habe beispielsweise am Anfang meines Dienstes eine Woche damit verbracht, im Internet nach Startups und kleineren Unternehmen zu suchen und über ihre Websites zu ermitteln, ob sie als Partner in Frage kommen könnten. Bei manchen Projekten von anderen Büros gibt Eurocircle unter anderem deutschen Sprachunterricht. Ich übernehme hin und wieder manche Aktivitäten.
Auch übersetze ich Texte wie Vereinbarungen oder Abschlussberichte ins Englische oder Deutsche. Zu guter Letzt schickt man uns an Arbeitstagen von Zeit zu Zeit auf Events, damit wir auf diesen über unser Austauschprogramm sprechen und neue Teilnehmer für die Projekte von Eurocircle anwerben können.
Mein Ziel ist es, Französisch zu lernen. Durch meinen dreimonatigen Schüleraustausch mit Montpellier (Brigitte-Sauzay-Programm) vor drei Jahren hatte ich dafür gute Anfangsbedingungen. Um mich ganz auf die Sprache einzustellen, habe ich mir über YouTube die französische Version der Hörbücher Harry Potter heruntergeladen und angefangen, sie mir beim Kochen und Saubermachen oder kurz vor dem Schlafengehen anzuhören. Um herauszufinden, wieweit ich vorangekommen war, unterzog ich mich vor vier Monaten einem Sprachtest im Internet. Das Ergebnis war erstaunlich. Mein Niveau liege wohl bei C1 und mein Sprachverstehen bei C2. Bei der Grammatik hapert es noch ein wenig… Naja, wird schon.
Außerdem wollte ich die französische Kultur und die Menschen näher kennen lernen. Dazu habe ich mich in zwei Sportvereine eingeschrieben, einmal in einen Basketballclub und in einen Kletterverein. An alle Kletterer da draußen: In den Calanques kann man äußerst einwandfrei klettern. Die Calanques sind Kalksteinklippen/Kalksteinfelsstrukturen unweit von Marseille.
Die meisten Freiwilligenprojekte beinhalten Seminare, vergleichbar mit Jugendcamps. Ich für meinen Teil bin einen Monat nachdem ich in Frankreich angekommen war zum Vorbereitungstraining und nach vier Monaten nochmal zum sog. „Midterm-Training“, beide in Narbonne, gefahren. Die Seminare dienen dazu, den Teilnehmern die französische Kultur und Sprache näherzubringen. Nachts wird – logischerweise – ordentlich gefeiert. Aber es ist auch cool, Kontakte mit anderen Freiwilligen zu knüpfen und Reisen in andere französische Städte zu planen.
Ich zum Beispiel bin ironischerweise beim Verfassen dieses Textes gerade bei Freunden in Elbeuf (Normandie), wo mich die Coronaquarantäne auf dem falschen Fuß erwischt hat.
Abschließend möchte ich sagen, dass ich hoffe, dass euch der Text weiterhelfen konnte. Ich bin froh, mich für das Projekt entschieden zu haben. Ich habe einiges erlebt und – klingt platt, ist aber so – habe ordentlich dazugelernt. Ich stehe absolut hinter solchen internationalen Projekten. Und die dritte Fremdsprache wird sich auf meinem Lebenslauf auch gut machen.
Peace out