Ricostruire
„Ricostruire“ war ein Freiwilligendienstprojekt in Italien in einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Asti im Piemont. Unsere Freiwillige Melina war dort für 6 Monate. Hier ihr wirklich sehr schöner, authentischer Bericht nach 3 Monaten:
Eigentlich wollte ich ja etwas anderes machen, eigentlich wollte ich gar nicht unbedingt nach Italien und wusste nicht, ob ich mir einen Freiwilligendienst im sozialen Bereich zutrauen soll, immerhin hatte ich nicht die geringste Erfahrung darin. Doch dann fand ich das Projekt, das einfach perfekt zu passen schien.
Sie suchten noch jemanden aus Deutschland, genau für den Zeitraum, in dem ich ins Ausland wollte. Italien hatte für mich den Vorteil, dass ich die Sprache schon auf der Schule gelernt hatte und auch das Projekt klang sehr interessant: Sechs Monate auf einem therapeutischen Bauernhof.
Doch was das bedeutet, davon hatte ich keine Ahnung und auch die Projektbeschreibung half mir letztendlich nicht viel weiter. Esel, Ziegen, Hühner, Kaninchen. Gemüsegarten. Die Menschen, die dort wohnen, werden Gäste genannt und sind keine Patienten. Ah. Wer sich jetzt eine Freiwillige vorstellt, die einen Esel im Kreis führt, der auf seinem Rücken einen Menschen mit der einen oder anderen Einschränkung sitzt, hat ungefähr das Bild vor Augen, das ich vorher hatte. Und das mit der Realität nichts zu tun hat. Es gibt zwar einen Esel, aber dessen einzige Aufgabe ist, zu existieren und unser Leben mit seinem Iih-Aaaah zu bereichern. Was macht man also auf einem therapeutischen Bauernhof? Die Antwort ist überraschend einfach: Leben!
Das pralle Leben, mit allen Facetten, und mittendrin bin ich. Meine Aufgabe ist, die Menschen im alltäglichen Leben zu begleiten und zu helfen, wo Hilfe benötigt wird, das heißt Mist ausbringen, kochen, Brennholz sammeln, spazieren gehen. Es heißt auch aufpassen, dass die Kekse oder der Kaffee nicht auf unerklärliche Weise verschwinden. Ich habe bereits gefühlte hundert Moscheen gemalt und mich schon mehr als einmal gefragt, was die beste Antwort auf eine Aussage wie „Gestern habe ich Brad Pitt in Asti getroffen“ ist.
Mein Projekt weicht stark von vielen Projekten des Europäischen Freiwilligendienstes ab, vor allem, weil es sich um eine „comunità“ handelt, um Gemeinschaftsleben – denn das bedeutet, dass ich nach meinen sieben Stunden Dienst nicht nach Hause gehe, weil ich schon zu Hause bin. „Zu Hause“, das meine ich wörtlich. Vom ersten Moment an fühlte ich mich herzlich aufgenommen, sowohl von den Gästen als auch von den Mitarbeitern der Organisation sowie von den anderen Freiwilligen. Zudem habe ich das große Glück, zwei wunderbare Tutoren an meiner Seite zu haben, die mir das Leben hier noch ein gutes Stück einfacher machen, vor allem weil ich weiß, dass sie für mich da sind, wenn ich sie brauche.
Mein Zimmer teile ich mir mit zwei italienischen Freiwilligen, wovon die eine nur eine Nacht in der Woche bei uns schläft. Wir haben unser eigenes Bad. Das Haus befindet sich mitten auf dem Land, mit dem nächsten Dorf in drei Kilometern Entfernung und die nächste Stadt ist Asti mit rund 70.000 Einwohnern.
In den drei Monaten, die ich bis jetzt hier bin, habe ich die Menschen meiner italienischen comunità schon voll und ganz ins Herz geschlossen. Dieses Gefühl entschädigt mich für alle kleinen Probleme und Schwierigkeiten des Alltags. Auch wenn das Wasser immer nur dann warm zu sein scheint, wenn ich gerade mit zusammengebissenen Zähnen eine kalte Dusche gemacht habe; auch wenn die nächste Bushaltestelle zwei Kilometer entfernt ist (und der letzte Bus um acht Uhr abends ankommt); auch wenn mein Italienisch mich oft in den ungünstigsten Moment im Stich lässt; auch wenn ich manchmal das Gefühl habe, meine Privatsphäre in Deutschland zurückgelassen habe – ich freue mich auf die nächsten drei Monate. Ich werde mir noch wer weiß wie oft mehr oder weniger geduldig anhören, dass die Suppe zu viel oder zu wenig gesalzen ist. Mehr als einmal werde ich meinen Teller nicht wiederfinden, nachdem ich kurz vom Tisch aufgestanden bin, um etwas zu holen, oder Salz im Kaffee vorfinden und die hundertunderste Moschee wartet vielleicht schon heute Abend auf mich. Doch während ich diese Momente erleben werde, werde ich wissen, wie wertvoll sie sind und dass ich sie vermissen werde, wenn mein Freiwilligendienst hier beendet ist.