19 Nov

Mov’Art

„Mov’Art“ war ein Freiwilligendienstprojekt in Marseille/Frankreich. Unsere Freiwillige Lucie arbeitete dort für 6 Monate in einer kleinen Fotogalerie und es klang alles danach, dass ihr das zu kurz war. Aber lest selbst ihren tollen Bericht und wer mag auch ihren erstklassigen Weblog:

Marseille ist eine unglaublich spannende Stadt voller Widersprüche. Neben ‚Kulturhauptstadt 2013 Schildern‘ wühlen Obdachlose mit Kinderwagen in Müllcontainern, wenn man abends von schicken Vernissages nach Hause kommt, sollte man auf der Straße aufpassen, wer einem zu nahe kommt, die unglaublich schöne Küste mit Blick auf den leuchtenden Himmel verblasst, wenn man auf dem Weg zurück den zahlreichen Hundehaufen auf dem Asphalt ausweichen muss.

Ich wohne zusammen mit vielen anderen Freiwilligen in einem Haus in der Nähe des Hauptbahnhofs St. Charles. Meine Mitbewohner kommen aus ganz Europa, vorallem sind es aber Italiener und Deutsche. Die Wohnung ist manchmal wie ein kleines Refugium, in dem, durch die vielen vermischten Akzente, ein eigenes Französisch gesprochen wird und trotzdem alle verstehen, was gemeint ist. Die Atmosphäre in unserer 5er-WG gefällt mir sehr gut und abends, wenn jeder von seiner Arbeit kommt, kochen und sitzen wir oft zusammen und tauschen uns über den Tag aus.

Ich arbeite in einer kleinen Fotogalerie, in der insgesamt nur 4 Personen angestellt sind. Dadurch ist es einerseits sehr intime Stimmung, andererseits fehlt mir manchmal ein wenig Struktur und Orientierung, da ich kein spezielles persönliches Projekt habe.
Normalerweise helfe ich in der Galerie, mache kleineren Schreibkram und helfe bei Ateliers ausser Haus. Dabei habe ich zum Beispiel bei einem Stenopé-workshop mit beurlaubten Gefangenen geholfen und Lightpainting mit Kindern in einem Zentrum für Kinder mit Konzentrationsstörungen betreut.
Am meisten Spaß hat mir bis jetzt das Aufbauen von Ausstellungen gemacht. Es ist sehr interessant, was die Künstler selbst über ihre Arbeit sagen, wie verschieden die Denkweisen sind und vorallem wie unterschiedlich man Photographien, angepasst an den Künstler und sein Thema, präsentieren kann.
An den Fotokursen in digital und analog darf ich teilnehmen und da ich kein Experte bin und so noch nie auf die Idee gekommen bin, mich mit den Einzelheiten der Technik auseinander zu setzen, lerne ich viel Neues.

Durch meine Arbeit, aber auch so, bin ich viel von Fotografen und Künstlern umgeben und da ich vor habe, in diese künstlerische Richtung zu gehen, ist dieser Umgang sehr hilfreich, um sich eine tiefgründigere Vorstellung zu machen und um zu lernen, mit schwierigen Charaktern um zu gehen. Dafür liebe ich die kulturelle Vielfalt von Marseille: ständig findet irgendwo eine Vernissage, ein Konzert oder Diskussionsrunde statt. Es ist toll, einfach da zu sein und Anfang Oktober hatte ich sogar die Möglichkeit drei Tage als Freiwillige bei einem Festival mit zu arbeiten.

Außerdem habe ich einen tollen Zeichenkurs gefunden, der mir wöchentlich den Samstag ausfüllt und mir bei der Studienvorbereitung hilft und ich gehe dienstags zu einem Jazzensemble, damit meine Trompete nicht einstaubt.

Ist man zur richtigen Zeit am richtigen Ort, hat man das Gefühl, die Stadt wird nur von jungen interessanten Menschen bewohnt und alles vibriert vor Kunst und Kultur, ist man allerdings am falschen, ist man sich sicher, dass vor allem die Armut, Drogenabhängigkeit und Verrückheit in der Bevölkerung überwiegt.

Als ich hier ankam, meinten viele Leute zu mir, dass Marseille sehr speziell ist und eigentlich nicht zu Frankreich gehört: entweder man liebt es, oder man hasst es.
Und es stimmt, ist ein ständiges Ablösen von Gegensätzen, aber wo ich mich nach so einer kurzen Zeit von 3 Monaten positioniere, kann ich noch nicht sagen.
Ich bin mir sicher, dass ich viel gelernt habe, dass ich so oder so nie auf diese Erfahrung verzichten würde und dass es noch viel zu erleben und zu entdecken gibt.

Hier der Link zu Lucies tollen Geschichten in ihrem Weblog: lumanic.wordpress.com