Be the soul of the mountains!
„Be the soul of the mountains!“ ist ein Freiwilligendienstprojekt was die aufmerksame Leserin/der aufmerksame Leser bereits kennt. Genau! In Portugal! Noch genauer in Lousã. Hier nun ein weiterer Bericht aus diesem Projekt von unserem Freiwilligen Patrick. Er ist nicht ganz so überzeugt von seinem Projekt, hat aber einen wirklich grandiosen Bericht verfasst. Würde ich mir an eurer Stelle nicht entgehen lassen Ein kleines Kunstwerk!
An dem Tisch
Der Wecker klingelt und ich wache zur seichten Musik von Frankie Valli auf.
Neun Uhr, eine für deutsche Verhältnisse wohl eher späte Zeit um aufzuwachen, aber hier in Portugal ticken die Uhren ein bisschen langsamer, als in der leistungsorientierten Heimat.
Still liege ich in meinem Bett und kann es immer noch nicht fassen, dass ich in einem Land 2000 km entfernt von meiner Heimat, Freunde und Familie lebe, in einem Haus gemeinsam mit einer Russin, welche ein Jahrzehnt älter ist als ich und einer Slowenin, die auch schon ganze fünf Jahre mehr als ich auf dem Buckel hat. Ob ich mich zwischen ihnen manchmal wie ein Kind fühle? – JA!
Aber sei’s drum, ich kann mich nicht beklagen. Aus Erzählungen anderer Volontäre weiß ich, dass es Freiwillige gibt, die es 1000 mal schwieriger mit ihren Mitbewohnern haben als ich.
Da ist vom täglichen Drogenkonsum bis zu Gewaltandrohungen alles dabei. Ja…ein Freiwilligendienst ist nicht immer einfach.
Ich rappel mich auf und greif so schnell wie möglich nach meinem blauen Pullover.
Die Hände reibend, sitze ich an meiner Bettkante und sehe, wie mein kondensierter Atem vor mir in meinem Zimmer verweht. Das Stromnetz ist in der Nacht mal wieder zusammengebrochen und so konnte nicht einmal meine kleine transportable Steckdosenheizung mir ein wenig Wärme spenden.
Barfuß laufe ich auf dem eisigen Boden zu meinem Fenster und öffne es, immerhin ist es draußen wärmer als in meinem Zimmer. „Aber in Deutschland ist es doch viel kälter als hier in Portugal?“ – „Ja klar, aber in Deutschland hat auch jedes Haus ne Zentralheizung!“
Ernüchternder Weise erstreckt sich vor mir ein Wolkenmeer, aus welchem es wie aus Kübeln gießt. Wer hätte gedacht, dass es hier im als so sonnig gepriesenen Portugal mehr regnet als in unserem so tristen Deutschland…
Wie auch immer, ich ziehe mich an und gehe zur Tür.
Grade als ich einen Schritt raus auf die Straße machen möchte, rast ein Auto mit etwa dem doppelten der erlaubten Geschwindigkeit haarscharf an mir vorbei – Alltag hier.
Auf dem Weg zur Arbeit werde ich fast noch drei weitere Male überfahren. Schnell rette ich mich in ein Cafe.
Auf meine kläglichen Versuche ein Brötchen mit Butter zu bestellen, erwidert die Frau am Tresen nur verwirrte Blicke. „Okay, dann eben ohne Frühstück zur Arbeit“.
Angekommen im Büro, werde ich von der unangenehm stickigen Kälte in unserem „Arbeitsraum“, der eher einem Warteraum in einer Zahnarztpraxis gleicht, empfangen.
Ich hänge meinen durchnässten Mantel über einen Stuhl, der prompt in diesem Moment zusammenfällt. „Dann eben der daneben.“
Ich setze mich an einen riesigen Arbeitstisch in der Mitte des Raumes und erblicke neben zerknüllten Verpackungen, Flyern und halb abgerissenen Papieren, auf denen mit einer mir unbekannten Schrift etwas geschrieben steht, meine Projektbeschreibung auf dem Tisch liegen.
Ich blättere sie ein wenig durch. „Sie werden mit Wandergruppen Touren in wunderschöne Bergen machen“, „Sie werden naturbasierende Events planen und durchführen“, „Sie bekommen die Chance ein eignes Projekt zu entwickeln“. Langsam wende ich meinen Blick von meiner Projektbeschreibung ab und drehe mich zum Fenster.
In voller Größe erstrecken sich die Berge vor meinen Augen. Sehnsüchtig blicke ich einige Zeit in die, auch im Herbst noch, saftig grüne Natur. „Wie schön es doch wäre tatsächlich mal in den Bergen zu wandern. Doch stattdessen sitze ich täglich sechs ganze Stunden nur an einem Tisch und bewege mich höchstens mal, um aufs Klo zu gehen. Wie in einem Wartezimmer, in dem man immer hofft, der nächste Aufgerufene zu sein, doch man bleibt ewig sitzen und kommt am nächsten Tag wieder und am nächsten und am nächsten…“
Ich richte meinen Blick auf eine Tafel, die wackelig auf einer von mir installierten Konstruktion an die Wand gelehnt ist. In großen Buchstaben steht die Überschrift „Tackle it! AD for the Mountains“ Daneben ein Zeitplan: Skript: Check, Storyboard: Check, Planing: Check, Filming: ?.
Enttäuscht blicke ich wieder auf meine Projektbeschreibung, wohlwissend dass ich dieses Projekt mit ziemlicher Sicherheit vergessen kann. Am liebsten würde ich vom Tisch aufstehen und meiner Organisation sagen, dass man doch so nicht seine Angestellten behandeln kann, dass es doch nicht sein kann, dass man keine Aufgaben für mich hat, dass ich am liebsten hier raus möchte.
Da es aber nicht so ist; wohl ausgeschlafen wache ich um neun Uhr morgens auf. „Wie lange habe ich mich während der Schule danach gesehnt, endlich mal so lange ausschlafen zu können.“
Ich bleibe einige Minuten mit offenen Augen liegen und freue mich, dass ich die großartige Chance bekommen habe mal ganz alleine, und ganz weit weg von zu Hause, in dem Land meiner Ahnen, zu leben.
Ich schnappe mir mein Handy und gucke auf den Wetterbericht: „Sonne bei 18 °C.“
Prompt stehe ich auf und öffne das Fenster. Warme Luft strömt in mein Zimmer. „Ich kann mich glücklich schätzen, dass heute so ein schöner Tag ist, in Deutschland regnet es bei 6 °C.“
Ich kleide mich an und schnappe mir eine leichte beigefarbene Jacke. Vorsichtig öffne ich die Tür. Ein Blick nach links und nach rechts – die Straße ist frei.
Ich begebe mich auf den Weg zur Arbeit. Unterwegs mache ich Halt in einem kleinen netten Café.
Ich bestelle mir in einem etwas holprigen, aber für 3 Monate schon beinahe perfektem Portugiesisch ein „Pastel de nata“, die Nationalsüßigkeit dieses Landes. Genüsslich genieße ich mein kleines, traditionelles Frühstück und verliere die Zeit ganz aus den Augen.
Plötzlich werde ich von hinten angetippt. Ich drehe mich um und erblicke meine Mentorin. Eine sehr aufgeschlossene und herzensreine Frau. Wir unterhalten uns einige Minuten bis sie schließlich sagt, dass sie zur Arbeit muss.
„Arbeit…da war ja was!“ Ich schnappe mir meine Jacke und begebe mich mit leicht angezogenem Schritt zum Büro. Angekommen stelle ich fest, dass meine kleine Verspätung keinem weiter aufgefallen ist. Nach einem kurzen Gespräch mit meiner Koordinatorin setze ich mich an meinen Arbeitsplatz. Ich schaue auf meine To-Do Liste des heutigen Tages: Portugiesisch lernen, mich um einen Uniplatz kümmern, meiner Kollegin bei ihrem Projekt helfen.
Da dies so ist, lege ich das Gesicht auf den Tisch und wie in einem schweren Traum versinkend weine ich, ohne es zu wissen.
PS: Dieser Text ist angelehnt an die Parabel „Auf der Galerie“ von Franz Kafka