Cultural Chameleon
„Cultural Chameleon“ ist ein EFD-Projekt in der sehr interessanten estnischen Hauptstadt Tallinn. Eine sehr junge und moderne Stadt. Unsere Freiwillige Lea ist dort seit 4 Monaten und total begeistert. Hier ihr schöner Bericht, der auch vieles über das alltägliche Leben dort verrät:
Tere tulemast Eestisse! – Herzlich Willkommen in Estland!
An alle, die nicht wissen, wo genau sich Estland überhaupt befindet, kein Problem! Ich wusste es vor meinem EFD auch nicht so wirklich. Estland ist das nördlichste der drei baltischen Länder und sehr, sehr klein. Insgesamt leben hier nur 1,3 Millionen Menschen, dafür gibt es aber über 1.500 Inseln.
Im September 2016 habe ich mein EVS in Tallinn angefangen. Bevor ich hierher kam, habe ich mir jede Menge Gedanken über alles Mögliche gemacht. Wie die Arbeit aussehen wird, ob ich mich mit meinen Mitbewohnern verstehen werde und ob ich es überhaupt auf die Reihe bekomme, mich um all die Haushaltssachen alleine zu kümmern. Immerhin habe ich davor noch nie allein gelebt. Mit all diesen Gedanken und einer gewissen Portion Angst kam ich also hier in Tallinn an. Wie sich herausstellte, waren die meisten Sorgen unbegründet…
Zusammen mit 4 anderen Freiwilligen aus Spanien, Italien, der Ukraine und Bosnien-Herzegowina wohne ich in einem Apartment im Zentrum Tallinns. Nicht nur die Lage ist unschlagbar, sondern auch die Wohnung an sich. Jeder hatte auf eine halbwegs bewohnbare Wohnung gehofft, aber unsere Erwartungen wurden bei Weitem übertroffen. Natürlich ist es am Anfang ungewohnt, sich eine Wohnung mit quasi Fremden zu teilen, aber wir haben uns alle sehr schnell aneinander gewöhnt. Ich muss jedoch zugeben, dass das nicht ganz ohne Kompromisse ging. Fünf verschiedene Nationalitäten und Mentalitäten auf so engem Raum zusammen, erfordert einiges an Kommunikation und Offenheit. Besonders Sauberkeit und Ordnung sind die Themen, über die niemand sprechen will, aber eigentlich am nötigsten besprochen werden müssen. Also musste ein Plan dafür her. Mittlerweile funktioniert es mehr oder weniger gut; wie WG Leben eben so ist. Das Schöne an Mitbewohnern ist jedoch, dass man immer jemanden zum Quatschen hat und wenn man so ein Glück hat, wie ich, dann hat man ganz schnell eine neue kleine Familie. Vor meinem EVS wusste ich bereits, dass ich die Jüngste in unsere WG sein werde, aber wie sich herausgestellt hat, spielt das Alter beim EVS überhaupt keine Rolle. Zusammen unternehmen wir jede Menge, gehen zu Language Cafés oder kochen gemeinsam. So kommt es auch, dass ich mittlerweile schon recht international kochen kann. Wer hätte schon gedacht, dass ich in Estland lerne, wie man Tortilla de Patata, Wareniki oder Bosanski lonac (Bosnischen Eintopf) zubereitet? Die Mitbewohner-Sorge war also schnell beseitigt.
Nun aber zum anderen Hauptbestandteil des EVS – der Freiwilligenarbeit. Ich arbeite im Pääsküla noortekeskus (Jugendclub) zusammen mit 5 Jugendarbeitern. Das Konzept der Jugendclubs ist hier in Estland sehr weit verbreitet und stark nachgefragt. Und weil ich vorher noch nie in einem Jugendclub gearbeitet hab, sondern nur selber welche als Jugendliche besucht habe, hatte ich keinerlei Vorstellung, was mich erwarten wird. Und um ehrlich zu sein, kam ich mir am Anfang auch ziemlich nutzlos vor. Eine Sache, die man über Esten wissen muss, ist, dass sie nicht die kommunikativsten Menschen der Welt sind und das ist nicht nur ein Vorurteil. Und die Kinder hier im Jugendclub sind da nicht anders. Dazu kommt, dass ich am Anfang keinerlei Estnisch-Kenntnisse hatte und somit nicht wirklich in der Lage war, mit ihnen zu sprechen und auch keiner so wirklich mit mir reden wollte. Mit der Zeit hat sich das zum Glück ein bisschen geändert, aber ganz angekommen bin ich noch nicht. Ich habe angefangen, mir meine eigenen Sachen zu suchen, z.B. unterrichte ich zweimal die Woche Gitarre und veranstalte ca. einmal pro Monat ein Event zur „German Culture Series“ (zu Essen, Spielen, Sprache, Musik etc.). Wenn es keine speziellen Aufgaben oder Veranstaltungen gibt, spiele oder bastele ich einfach mit den Kindern oder unterstütze meine Kollegen bei ihren Events. Manchmal gibt es aber auch überhaupt nix zu tun und dann schlägt die Langeweile zu. Ich bin jedoch nicht die einzige mit diesem Problem, meinen Mitbewohnern, die auch in Jugendclubs arbeiten, geht es ähnlich. Auch wenn das vielleicht ein bisschen negativ klingen mag, gefällt mir meine Arbeit gut. Ich habe mir für das neue Jahr vorgenommen, einfach mehr Initiative zu ergreifen und Langeweile nicht zuzulassen.
Natürlich sind die sechs Stunden Arbeit am Tag nicht alles, was den Freiwilligendienst ausmacht, auch Reisen gehört dazu. Wie schon erwähnt, ist Estland ein sehr kleines Land und da reist es sich mal schnell in ein Nachbarland. Zusammen mit anderen Freiwilligen habe ich schon Riga und Finnland besucht und auch Vilnius und Stockholm stehen noch auf meinem Plan. Und da Tallinn die Hauptstadt ist und direkt am Meer liegt, gibt es eigentlich immer was zu tun; Konzerte, ein Spaziergang am Strand, Ausstellungen, Partys etc. Langweilig ist es hier also nie.
Die vier Monate hier vergingen bis jetzt wie im Flug und eigentlich möchte ich noch gar nicht darüber nachdenken, dass es in 7 Monaten wieder nach Hause geht. Es gibt noch so viel zu erleben und zu lernen (über andere Kulturen, Sprachen und auch über sich selbst). Aber bevor ich schon über das Ende nachdenke, werde ich einfach versuchen, die Zeit zu nutzen, um möglichst viel aus diesem einzigartigen Jahr mitzunehmen.
Nägemist!