27 Okt

Options For Life

„Options For Life“ war ein Freiwilligendienstprojekt in England. Unsere Freiwillige Julia war dort für ein halbes Jahr beschäftigt. Hier ihr Erfahrungsbericht:

Ich bin 19 Jahre alt und seit ca. drei Monaten in Birmingham, England.

 

Angekommen bin ich im August, als selbst in England die Sonne noch schien und die Temperaturen angenehm sommerlich waren – wenn ich dagegen jetzt aus dem Fenster schaue, blickt mir ein trüber, schlapp herabhängender, grauer Himmel entgegen, der ununterbrochen zu weinen scheint. Es heißt also wie immer: Gummistiefel, Regenmantel und Optimismus!
Das soll aber nicht heißen, dass das Wetter die vielen positiven Seiten von England beeinträchtigen würde, nein, im Gegenteil!

 

Als EVS’ler erhält man die Chance, eine andere Kultur nah zu erleben, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu entdecken, sich anzupassen, aber auch etwas von seiner eigenen Kultur weiterzugeben. Die Engländer zum Beispiel sind ein gewitztes, offenes, herzliches Völkchen, was damit beginnt, dass man meist mit „Love“ oder „Darling“ von völlig fremden Personen angesprochen wird, was sofort eine Ebene der Vertrautheit oder zumindest Zutraulichkeit schafft – wenn ich zurück an Berlin denke, wo man als Käufer im Laden noch nicht einmal ein „Guten Tag“ geschenkt bekommt, dann muss ich doch schmunzeln.

 

Ich genieße meine Zeit hier in Birmingham, der zweit größten Stadt Großbritanniens, das sei an dieser Stelle erwähnt, sehr.
Mit zwei anderen EVS’lern aus Spanien und Finnland wohne ich zusammen in einem typischen englischen Reihenhaus. Eine Straße weiter gibt es noch ein weiteres Haus für drei andere EVS’ler, insgesamt sind wir also sechs Freiwillige und somit sind Spaß und Gesellschaft immer garantiert und ich kann sagen, dass ich mich hier wie zu Hause fühle und praktisch eine neue Familie gefunden habe.

 

Die Einrichtung, in der ich arbeite, bietet Freizeitaktivitäten für Menschen mit Lernbehinderung an. Mein Arbeitstag beginnt um neun Uhr morgens, gegen 16 Uhr am Nachmittag komme ich dann meist nach Hause.
Wir unternehmen viele verschiedene Dinge mit unseren Partizipanten – das Wort Behinderte wird hier gemieden, um jegliche Distanz zwischen Personal und „Partizipanten“ aufzuheben. Im Prinzip geht es darum, diesen Menschen, die so oft von der Gesellschaft ausgeschlossen werden, einen Alltag, eine „normale“ Routine zu geben, sie in die Gesellschaft zu integrieren, ihnen Freude und Gesellschaft zu schenken. Wir gehen meist Billard spielen, einkaufen, bummeln, machen Kunst, zum Beispiel Mosaikgestaltungen und Töpfern, kochen oder backen, gehen in der Natur spazieren oder spielen Spiele.

 

Lunch, also Mittagessen um 12 Uhr, meist pünktlich wie die Maurer, essen wir gemeinsam mit Personal und Partizipanten, um auch hier jegliche Barriere oder Differenz zwischen den letzteren zu vermeiden und eine Atmosphäre der Vertrautheit und Gemeinsamkeit zu schaffen.
Die Idee dahinter gefällt mir sehr gut!

 

Die Menschen, mit denen ich zusammen arbeite, sind großartig und ich bin sehr dankbar dafür, diese Chance erhalten zu haben, denn bei der Arbeit mit Menschen mit Lernbehinderung – dieser Terminus schließt mental schwer behinderte Menschen mit ein- lernt man unglaublich viel, so zum Beispiel soziales Engagement, Geduld und Ausdauer. Denn von diesen Menschen kommt so viel zurück, wenn sie ihrer Dankbarkeit für Hilfe und Gesellschaft Ausdruck verleihen, dir ein süßes, herzlichen Lächeln schenken, dich umarmen, deine Hand nehmen, dann kann das schon meist meinen normalen Arbeitstag Tag in einen unvergesslichen verwandeln. So ist das eben mit sozialer Arbeit: Während man hilft, hilft man sich selbst mitunter am meisten.

 

Aber das EVS-Programm bietet mir und im Allgemeinen nicht nur innerhalb der Arbeit viele neue und wertvolle Erfahrungen, sondern es ist auch eine tolle Möglichkeit, das Land, die Kultur, die Menschen und die Sprache kennenzulernen und sich – weit weg von zu Haus – auf einer anderen Eben selbst zu entwickeln und zu entfalten.
Ich versuche zum Beispiel zwei bis drei Mal im Monat zu reisen, meist natürlich an den Wochenenden und so habe ich schon jetzt eine ganze Menge des Landes gesehen und viele wunderbare Menschen kennengelernt.

 

Wenn es im Februar zurück nach Hause nach Berlin geht, dann werde ich, das weiß ich schon jetzt, die Eigenständigkeit und mein neues, anderes Leben hier mit einer praktisch neuen Familie sehr vermissen.

 

Jedem, der überlegt, ein Frewilligenprojekt zu machen, kann ich nur beipflichten: Über eine andere Kultur und ein neues Umfeld lernt am besten etwas über sich selbst und die Erfahrungen, die man währenddessen sammelt, prägen für die weitere Zukunft und das Leben.

 

Cheers!